Geschichtenhaus
„Ein erheblicher Teil aller menschlichen Begegnung besteht darin, dass einer dem anderen 'seine Geschichte' erzählt." (Ferdinand Seibt)* --- Was sind Geschichtenhäuser? --- Geschichtenhäuser sind gesammelte Geschichten um Häuser, Orte und Gegenden.
Adolf Damaschke
Er schreibt in seiner Autobiographie:
„Wenige Minuten vom Lustgarten entfernt, ..., liegt der Hackesche Markt, so genannt nach dem Major, der unter Friedrich dem Großen die Stadterweiterung nach dieser Richtung leiten sollte.
Er war ein Stümper.
Das Gewirr der Straßen lässt keinen einheitlichen Plan erkennen. ... Sie sind entweder völlig planlos entstanden oder ... nach dem Vorteil jeweiliger einflussreicher Grundbesitzer gezogen.“
Zur Rosenthaler Straße 39
„Der Hof war schmal. ... Am Ende des Hofes, der uns Kindern endlos lang vorkam, war gerade zu der Eingang zu 'Fritz Kellers Gartenlokal'. ... Auf dem zweiten Hof war eine Wagenremise, der Stall für die Pferde des Möbellagers Dessin, ein Heuboden und eine Reihe von Aborten; denn Wasserklosetts wie heute gab es noch nicht, am wenigsten in Hofwohnungen. ...
Der lange Hof lud namentlich in den Dämmerstunden zum Versteckspielen ein.
Eigentlich hatte ich – wie jedes Kind der Mietskaserne – keine Stätte wo ich von rechtswegen sein durfte. In der engen Wohnung war für ein gesundes Kind seinem Bewegungs- und Betätigungstrieb natürlich kein Raum. Auf dem Hofe fand sich der übliche Anschlag: Der Aufenthalt auf dem Hofe und das Spielen sind verboten. Überall, wo man war, verstieß man gegen Vorschriften. ...
Im Winter, wenn wir nicht auf dem Hofe und auf der Straße sein konnten, war das Kriegsspiel beliebt, ... wurden unsere Bleisoldaten vorgenommen. Jeder bekam die gleiche Anzahl und dann wurde entweder mit Erbsen aus kleinen Kanonen geschossen oder mit Murmeln versucht, die gegnerischen Streitkräfte umzuschieben. Sonntags sahen wir wohl einen Guckkasten an, den Vater hergestellt hatte. Man sah allerlei Wunder der Welt. Die blaue Grotte von Capri sehe ich noch vor mir. Daneben waren Schlachtenbilder von 1870/71 bevorzugt."
Baden in der Spree
„Im Sommer badeten wir, wenn irgend möglich, täglich der Spree. In den Volksbadeanstalten kostete ein Bad fünf Pfenning oder wie wir, die wir noch den alten Groschen zu 12 Pfennig kannten, natürlich sagten: einen „Sechser“. Aber das war teuer. Und so bewarb man sich, meist mit Erfolg, um eine städtische Freikarte.“
...
Alte Nationalgalerie
Die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel war noch sehr jung, als Adolf Damaschke 1865 geboren wurde und in seiner Kindheit hier das Reifenspiel abhielt:
„Eines unserer liebsten Spiele war das Reifenspiel, und war Ziel löblichen Ehrgeizes, einmal seinen Reifen von unserem Hause bis zur nächsten Querstraße, der Sophienstraße, hin und zurück zu treiben, ohne dass er von einem der vielen Fußgänger umgestoßen wurde. Am schönsten konnte man dieses Spiel in den Hallen der Nationalgalerie treiben. Unverständig erschienen uns nur die Erbauer, die offenbar den Standpunkt des Reifenspiels in seiner Bedeutung noch nicht genügend erfasst hatten, da sich rücksichtslos genug gewesen waren, die schönen Asphaltbahnen durch störende Stufen zu unterbrechen, die aus den Säulengängen zu den Fahrwegen hinabführten.“
Die Kirche von Dörgenhausen
Jürgen von Woyski erzählte mir folgende Begebenheit:
Die Kirchgemeinde Dörgenhausen erteilte ihm den Auftrag, eine Christusfigur für
ihre Kirche, die an der Außenfront über den Eingang angebracht werden
sollte – geschehen etwa in den Jahren 1996/97-98.
Das kleine Kirchlein steht eingebettet in einem anmutigen kleinen Park, ein
Elsterarm fließt leise vorbei, darüber führt eine kleine Brücke zu einer
Häuserzeile.
Einige Schritte vom Park und Kirchlein entfernt steht der Besucher
verwundert und erfreut vor einem Fachwerkhaus. Bis noch vor kurzer
Zeit befand sich hier die Gaststätte „Zum Elstergrund“, das aber ist schon
wieder eine andere Geschichte.
Und somit zurück zu Jürgen von Woyski und seiner Erzählung.
Natürlich nahm er den ehrenvollen Auftrag an und entwarf eine wunder-
bar leise und innige Christusfigur, die dann aus Sandstein gehauen,
geschlagen wurde und dann nach Vollendung ihren Platz für die
die Ewigkeit und für ein Innehalten im täglichen Tun der Menschen.
Dem Eingang der Kirche gegenüber stand eine Bank, die dem Künstler
als Arbeitsplatz diente und hier geschah nun folgendes:
Neben dem Interesse und Neugierde der Dorfbewohner gesellte sich
zum Künstler auf der Arbeitsbank ein aus der Bahn Geworfener mit
der Bierflasche in der Hand.
Aufmerksam verfolgte er das Geschehen und es ergaben sich Ge-
Spräche. Dieser Mann hatte nach der Wende keine Arbeit mehr, ver-
suchte sein Glück im westlichen Teil Deutschlands und scheiterte,
kam zurück und fand keinen Anschluß mehr zur Normalität. Es blieb
die Flasche.
Das Werk ging seiner Vollendung entgegen. Und was ist nun mit
dem Honorar ? Der Pfarrer rief sein Gemeinde auf zur Sammlung.
Der Gast auf der Bank wollte sich beteiligen. Ein Flasche Bier?!
Jürgen von Woyski wurde von der Gemeinde zur feierlichen Einweihung
des „Christkönig“(1998) eingeladen und man überreichte dem Künstler
mit einem Dankeschön einen Lederbeutel mit dem gesammelten.
Honorar.
Jürgen von Woyski besuchte seinen „Christkönig“ und vermisste den
Gestrandeten mit seiner Bierflasche.
Ob er wohl erfroren ist?
Neben der Schaffensfreude bedrückten ihn doch sehr dieses Erlebnis.
Wie kann ein „Christkönig“ helfen? Ist das überhaupt möglich?
Stehe ich vor dieser Sandsteinfigur – „Christkönig“ – muß ich an
dieses Erlebnis denken...
Der Groschenroman
1999 wurde die Wasseranlage in meiner Wohnung saniert.
Ein umtriebiger Handwerker überzeugte mich mit den Worten von der Maßnahme: „Dit könn Se mir glooben, mit ’nem 80 Lita-Boila wern sich Ihre Kosten quasi halbiern. Dit versprech ich Ihnen.“ Benannter Effekt ist nicht eingetreten, allerdings fand sich im Verschlag über meinem Bad dieser Groschenroman „Ulrich Hans Wagner der furchtbare Räuberhauptmann genannt der Domschütz, Seine Raubzüge und Abenteuer, wahrheitsgetreu geschildert von Guido v. Fels.“ Es handelt sich dabei um ein Folgeheft, diese Ausgabe beginnt mit der Seite 769.
Auf der Rückseite befindet sich eine Werbung für das BGB, das 1900 erschienen ist.
Friedhof Reichenberg
Auf dem Friedhof in Reichenberg (Märkische Schweiz) habe ich diesen Grabstein gefunden. Das Todesdatum, eines Großbauern, dessen Nachkommen im Zusammenhang mit der LPG-Gründung die DDR verlassen haben, ist der 31. 4. 1950. Da der 31.4. als Datum in unserem Kalender nicht vorgesehen ist und dem 1. Mai entspricht, habe ich meine Phantasie schwelgen und mich gern zur Annahme hinreißen lassen, dass es sich hier nicht um einen „Tippfehler“ handelt, sondern um eine klare politische Botschaft.
Ich habe die Familie kontaktiert und werde alle Neuigkeiten hier vermerken.